Sommer 2020. Ein schwül-heißer Abend. Ich laufe um die Außenalster. Abkühlung bringt das nicht, aber Gedankenfreiheit. Und dann passiert es kurz vor der Schönen Aussicht: Letzte Sonnenstrahlen zwischen trockenen Ahornblättern, magisches Licht und nur dieser Moment. Ich spüre Gegenwart, Glück und Gewissheit: Was auch immer geschehen mag, diesen Augenblick kann mir niemand nehmen. Ich nehme einen tiefen Atemzug, bin völlig verschwitzt und gleichzeitig stark genug für eine zweite Runde. Und einfach nur dankbar. Für diesen Moment der Freude und Gewissheit in ungewissen Zeiten.

Führen aus der Ferne

Natürlich ist am nächsten Tag wieder Alltag. Der magische Moment scheint vergessen. Martin, ein langjähriger Freund und Unternehmer ruft mich an. Ihm macht das hörbar zu schaffen: Das Führen aus der Ferne, wo er doch so gern alle Sinne bei der Arbeit einsetzt.

Die Fragen der Mitarbeiter, die viel zu häufig per Mail statt direkt kommen. Offenstehende Rechnungen, schlechte Zahlungsmoral und sinkende Rendite. Kommt im September der zweite Lockdown, fragt er bange ins Telefon.

„Warte mal“, unterbreche ich seinen Redestrom und schaue schnell in meinen Kalender, „lass uns das lieber draußen weiter besprechen, wir nehmen ein Lunch der Stärke, Treffpunkt bei der Guten Botschaft.“ Martin seufzt: „Die hat geschlossen, aber ich habe sowieso keinen Appetit. Und was meinst du mit Lunch der Stärke?“ Er klingt müde: „Abwarten und Ungewissheit aushalten“, sage ich und lege auf.

Führen 2020

Althergebrachte Machtstrukturen haben uns träge gemacht. Wir müssen sie in klar definierte und aufeinander abgestimmte Verantwortlichkeiten überführen, wenn wir aktuelle und zukünftige Aufgaben lösen wollen. Das heißt nicht, dass die Führungskraft abgeschafft wird. Sie wird nur nicht mehr per qua Rolle und Position in einer starren Hierarchie bestätigt, sondern durch

  • Mindset: Das Alltagsgeschäft überlasse ich den Mitarbeitern, meine Aufgabe liegt einzig und allein darin, neue Optionen für die Zukunft zu finden.
  • Vitalität: Ich muss nicht nur im Kopf beweglich bleiben, sondern auch Verschleiß von mir und meinen Mitarbeitern fernhalten.
  • Haltung: Das Team spürt in meiner Gegenwart eine mentale Stabilität und folgt mir freiwillig.

Als ich pünktlich an unserem Treffpunkt erscheine, ist Martin schon da. Wir gehen schweigend am Wasser entlang. Nach einer Weile wird meine Begleitung ungeduldig: „Hattest du mir nicht ein Lunch der Stärke versprochen, stattdessen latschen wir jetzt zwischen diesen aufgeblasenen Hundehaltern und nervigen Joggern umher!“ Ich entgegne nichts, führe ihn aber ein wenig ab vom Pfad unter eine mächtige Trauerweide. Es ist einer dieser Blickwinkel, die ich so liebe: Die sonnenbeschienenen langen Weidenarme, Schilfpflanzungen dahinter, weiße Segelboote auf dem Wasser, schließlich die prachtvolle Skyline gegenüber. „Was siehst du?“, frage ich Martin. „Licht“, er blinzelt. „Was spürst du?“ „Wärme.“ Er versteht, was ich meine: „Und das alles geschenkt. Einfach da zu unserer Freude.“

Mit Dingen umgeben, die stärken

In einer Zeit der Ungewissheit dürfen wir uns nicht den Gefühlen von Ohnmacht und Pessimismus hingeben. Vielmehr sollten wir uns mit Dingen umgeben, die uns stärken: Literatur, Sport, Natur. Erst recht, wenn wir uns „Führungskraft“ nennen.

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